22.07.2020

Ein Gefühl der Apartheid in Holland

Von Karl Kemp

Titelbild

Foto: Massimo Catarinella via WikiCommons / CC BY-SA 3.0

In niederländischen Städten wie Amsterdam findet sich eine Form der ethnischen Segregation, die an Südafrika erinnert.

In der ersten Woche meines Umzugs in den mehrheitlich von Immigranten bewohnten Stadtteil Kolenkitbuurt in Amsterdam, der vor weniger als zehn Jahren von den Behörden als das „problematischste“ Viertel des Landes bezeichnet wurde, rauchte ich auf dem Balkon der dritten Etage mit Blick auf meine neue Straße. Von dem, was ich bisher so mitbekommen hatte, habe ich gedacht, dass meine Nachbarn rein muslimisch seien und überwiegend aus dem Maghreb stammten. Aber an diesem Tag gab es ein Straßenfest, an dem ausschließlich Niederländer teilnahmen, angeblich um einige Neuankömmlinge zu begrüßen. Die Einwanderer waren indes verschwunden.

Als sich die Feiernden später am Abend wieder zurückzogen, ging es wie gewohnt weiter, die Marokkaner kehrten zurück. Die Menschen gingen ruhig ihren Geschäften nach, als ob dies ein normaler Zustand auf jeder Straße der Welt wäre, wo verschiedene ethnische Gruppen, die in derselben Straße leben, eine unausgesprochene Vereinbarung über den Zeitplan für den öffentlichen Raum haben. Ich lebte dort sechs Monate lang und beobachtete nie wieder ein ähnliches Ereignis.

Ich arbeitete unregelmäßig, so dass ich viele Tage damit verbrachte, in der Kälte zu rauchen und die Nachbarschaft von oben zu beobachten. Im Laufe der Zeit lernte ich zu erkennen, wo sich die einheimischen niederländischen Nachbarn versteckten. Sie blieben in ihren Wohnungen, machten sich am frühen Morgen auf den Weg zur Arbeit ins Stadtzentrum und kamen spät abends zurück. Die verschiedenen Gruppen hatten verschiedene Geschäfte für Lebensmittel, die sich buchstäblich gegenüberstanden. Es gab nur wenige Kneipen in der Nachbarschaft und man konnte dort keinen einzigen marokkanischen Niederländer antreffen. Sie hatten Shisha-Lounges, und die Wahrscheinlichkeit, in einer dieser Lounges einen niederländischstämmigen Niederländer anzutreffen, war ebenso gering.

Marokkanische Jugendliche hingen nachts im Dönerladen herum und tranken Red Bull oder Schokomilch. Es gab nur wenige einheimische niederländische Jugendliche in dieser Gegend, aber wenn man sie im Park Gras rauchen sah, hielten sie sich immer in ethnisch homogenen Gruppen dort auf. Es war nicht ungewöhnlich, Arabisch auf der Straße zu hören. Frauen trugen Kopftücher und immer Tüten mit Lebensmitteln, schauten den Männern nie in die Augen und mischten sich nie mit den Gruppen älterer Männer in langen Gewändern mit ihren unrasierten Gesichtern, die ihre Tage damit verbrachten, auf dem Markt herumzulungern oder zur berüchtigten Al-Ummah-Moschee beziehungsweise von ihr weg die Straße entlang zu gehen.

„Ich habe das allgegenwärtige Gefühl der Rassenspannung und kulturellen Segregation, das ich aus Südafrika mitgenommen hatte, in Amsterdam noch nicht abgeschüttelt."

Wenn man 20 Minuten nach Osten in Richtung Zentrum radelte, vollzog sich der Wechsel fast unbemerkt. Plötzlich war man wieder unter den alten europäischen Kirchen, sah große niederländische Frauen mit blonden Haaren auf Fahrrädern und britische Touristen, die sich auf der Straße übergeben und einem von Grachtenbooten aus zurufen. Wenn man dann den östlichen Teil der Stadt erreichte und an De Schreeuw vorbeifuhr, wo der anti-islamische niederländische Filmemacher Theo van Gogh im Jahr 2004 von einem Marokkaner ermordet worden war, änderte sich das Bild wieder und es zeigte sich, wie absurd die Situation ist. (Man erinnere sich, dass auch der islamkritische und recht beliebte Politiker Pim Fortuyn nur zwei Jahre vor Van Gogh von einem anderen Extremisten ermordet worden war.)

Ich habe fast ein Jahr lang in Amsterdam gelebt, einer Stadt, die in meinem Heimatland als eine dieser „sicheren“, „funktionierenden“ europäischen Städte der ersten Welt berühmt war, und habe doch das allgegenwärtige Gefühl der Rassenspannung und kulturellen Segregation, das ich aus Südafrika mitgenommen hatte, noch nicht abgeschüttelt. Das Radeln durch Bos en Lommer auf dem Weg nach De Pijp löste fast die gleiche schleichende Verwirrung und seltsame Schuld aus wie das Vorbeifahren an Khayelitsha in der City Bowl von Kapstadt – nicht wie in Südafrika wegen der Armut, sondern wegen des schieren Kontrasts.

2017 lebten in den Niederlanden 2,1 Millionen Menschen mit nicht-westlichem Migrationshintergrund – etwa elf Prozent der Gesamtbevölkerung. Relativ gesehen sind diese Zahlen in unserer globalisierten Welt nichts Besonderes. Doch wenn man bedenkt, dass diese Gruppen extrem dicht zusammengedrängt wohnen, entsteht das eigentliche Bild. Auch wenn die europäischen Staaten die Einwanderung begrenzen, sich mit der Verschleierung und den „politischen“ Moscheen auseinandersetzen müssen, während die Popularität der gegen Immigranten gerichteten Parteien seit 2013 zunimmt, hält der Strom von Flüchtlingen und Wirtschaftsmigranten aus dem Nahen Osten und Nordafrika unvermindert an.

Aber es ist von entscheidender Bedeutung, diese beiden Themen nicht zu vermischen. Die Migrationskrise liefert einem Feuer, das seit Jahrzehnten brennt, nur neue Nahrung und wurde von Menschen außerhalb Europas, wie mir, entweder ignoriert oder missverstanden. Die Vorstellung, die bestimmte politische Gruppen außerhalb Europas (und manchmal auch in Europa) von der Situation haben, ist die eines aktiven Konflikts. Das ist nicht der Fall – außer vielleicht in den extremsten Situationen, wie zum Beispiel im Fall von Molenbeek in Brüssel. Vielmehr manifestiert sich der Konflikt als stilles Ressentiment, das durch selbst auferlegte Grenzen gestützt wird.

„Ich habe in meiner Zeit in Amsterdam keinen einzigen südafrikanischen Besucher empfangen, der nicht die Ähnlichkeiten mit unserer rassistisch aufgeladenen, mächtig dysfunktionalen Heimat erkannt hat."

Das Wesen der Apartheid liegt im Namen – es bedeutet auf Afrikaans „Getrenntheit“. Sie besteht aus gegenseitigem Misstrauen und Ressentiments. Sie ist unterbewusst, atmosphärisch und allgegenwärtig. Sie versucht, sich als Abbild der Normalität auszugeben. Die Europäer hätten vielleicht nicht gedacht, dass „was ist Apartheid?“ eine schwierige Frage ist. Die Antwort scheint offensichtlich zu sein – wenn es um internationale Nachrichten geht, wenn es um Sharpeville geht, oder wenn Nelson Mandela aus dem Gefängnis entlassen wird. Die Apartheid mit großem „A“ ist eine institutionalisierte Politik – ein schrecklicher Verlust der Selbstbestimmung angesichts einer rassistischen Bürokratie. Dabei wird vergessen, dass die Institutionalisierung der Apartheid lediglich die Formalisierung von a priori etablierten Gesellschaftssystemen war. Die Gesetze waren Symptome einer bereits existierenden Vorstellung, die besagt, dass bestimmte Kulturen unvereinbar sind und nicht miteinander existieren können oder wollen.

Von der Formalisierung abgesehen, zeigt sich hier die dem Phänomen der Parallelgesellschaft in Europa zugrunde liegende Strömung. Ich habe in meiner Zeit in Amsterdam keinen einzigen südafrikanischen Besucher empfangen, der nicht die Ähnlichkeiten mit unserer rassistisch aufgeladenen, mächtig dysfunktionalen Heimat erkannt hat. Sie sind schockiert, dass es andere Länder mit getrennten Vierteln und Gemeinschaften für bestimmte Kulturen gibt. Die Aufteilung der Muslime im Westen und Osten, Menschen aus Afrika, den Antillen und Surinam im Südosten und der europäischen Expats im Zentrum ähnelt der Aufteilung Kapstadts in der Apartheid-Ära mit Farbigen in den Cape Flats, Schwarzen in den Townships und Weißen in den Vorstädten.

Die Vision einer globalisierten Gesellschaft, in der Marokkaner, Perser, Eritreer, Skandinavier, Lateinamerikaner oder wer auch immer in der gleichen Straße leben, in den gleichen Geschäften einkaufen und in den gleichen Bars trinken, vermutlich in einem Land mit ewigem Sonnenschein, ist eine so falsche, so objektiv gescheiterte Fantasie, dass man seine Tage in einem Elfenbeinturm fernab der Realität verbringen müsste, um ihr Glauben schenken zu können.

„Die neuesten Erkenntnisse der niederländischen Regierung stellen ausdrücklich fest, dass Misstrauen und Identitätsverlust mit einer Zunahme der gesellschaftlichen Vielfalt einhergehen."

Die harte Realität in Holland sieht heute so aus, dass die Menschen ihre eigenen Friseure, ihre eigenen Einkaufsmärkte, ihre eigenen Lebensmittel, ihre eigenen Orte der Begegnung, ihre eigene Welt haben. Sie fühlen sich nicht wohl dabei, miteinander zu leben, und wo sie vom Mietmarkt dazu gezwungen werden, fühlen sie sich nicht wohl dabei, den Raum zu teilen. Das ist keine Meinung – das ist eine Tatsache, die von der staatlichen Forschung gestützt wird. Die neuesten Erkenntnisse der niederländischen Regierung stellen ausdrücklich fest, dass Misstrauen und Identitätsverlust mit einer Zunahme der gesellschaftlichen Vielfalt einhergehen.

Die Niederländer scheinen isoliert zu sein. Man kann sich an alles gewöhnen, wenn man lange genug damit zu tun hat. Dies ist auch eine der schlimmsten Auswirkungen der Segregation: Es ist notwendigerweise schwierig, das Problem zu sehen und zu erleben, wenn es sich in einer Gegend zeigt, wo man nie hingeht. Aus den Augen, aus dem Sinn. Auch das erinnert sehr stark an Südafrika, wo die Spannung zwischen Weißen und Schwarzen so tief verankert ist, so sehr Teil der nationale Psyche ist, dass es ungesund und unrealistisch wäre, die Tage damit zu verbringen, sich mit ihr zu beschäftigen. Und so bleibt das Gift bestehen.

Ich war eines Abends nach der Arbeit auf dem Heimweg, als der Bus etwa 20 Meter vor der Haltestelle hielt. Vor uns lag ein Meer marokkanischer Flaggen, ein grünes Pentagramm auf roter Leinwand, das aus Autos geschwenkt wurde, die vor dem Mercatorplein über die gesamte Kreuzung geparkt hatten: Marokko hatte sich für die Weltmeisterschaft 2018 qualifiziert. Eine halbe Stunde später fuhr der Bus endlich wieder. An der Haltestelle stiegen drei jugendliche marokkanische Niederländer in den Bus. Sie gingen nach hinten, zündeten sich Zigaretten an und begannen, sich zu schubsen und anzuschreien. Die wenigen gebürtigen Niederländer im Bus sahen vorwurfsvoll zu ihnen hin. Die Spannung baute sich auf, bis die Jugendlichen an der nächsten Haltestelle aufbrachen, aber nicht bevor sie geschrien hatten: „Kanker Nederlanders! Rot op! („Drecksniederländer! Haut ab!“). Der Mercatorplein ist berüchtigt.

Ich habe vorhin geschrieben, dass es sich nicht um einen „aktiven Konflikt“ handelt – aber es sei erwähnt, dass es nach der Ermordung von Theo van Gogh Ende 2004 mehrere Angriffe und Gegenangriffe auf Moscheen und Kirchen gab. Van Gogh schrieb kurz vor seinem Tod, es gebe in den Niederlanden solche „sozialen Unruhen“, dass bald „Zustände wie in Belfast“ herrschten. Nach meiner Auffassung als jemand, der aus einer segregierten Gesellschaft stammt, bedarf es tatsächlich nur kleinster Auslöser, damit eine solche Beschreibung in Besorgnis erregender Weise zuträfe.

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