19.04.2024

Illiberale Politik von rechts

Von Christian Zeller

Titelbild

Foto: Sandro Halank via Wikicommons / CC BY-SA 4.0

Im TV-Duell mit seinem CDU-Kontrahenten wurde Björn Höcke von der AfD mit dem üblichen Framing bedacht. Man hat versäumt, ihn bei der Frage nach der homogenen Volksgemeinschaft zu stellen.

Wenngleich in dem Rededuell zwischen Björn Höcke (AfD) und Mario Voigt (CDU) nicht versäumt wurde, Höcke in der üblichen Kampfbegriffs-Besoffenheit des Mainstreams als „Rechtsextremist“ anzukündigen, so verpassten die beiden Moderatoren Tatjana Ohm und Jan Philipp Burgard von Welt TV doch das Entscheidende.

Während des durchaus konturierten Schlagabtauschs der beiden Kontrahenten zu den Themen EU, Migration und Erinnerungskultur anlässlich der bevorstehenden Landtagswahlen in Thüringen wurden – natürlich – frühere Äußerungen von Höcke herausgeholt. So zitierte Voigt, vom Zettel ablesend, folgenden Halbsatz aus dem Interviewband mit Höcke aus dem Jahr 2018: „Auch wenn wir leider ein paar Volksteile verlieren werden“ – und versuchte, Höcke damit unter Rechtfertigungsdruck zu setzen. Höcke erhielt hier regelrecht eine Steilvorlage, gab es ihm doch die Gelegenheit zu erläutern, worauf er diese Passage bezogen wissen wollte, nämlich auf linksextreme Kreise, die „Deutschland verrecke“ riefen oder Deutsche als „Köterrasse“ bezeichneten. Sowohl Kontrahent als auch Moderatoren verpassten allerdings die Gelegenheit, den in dieser Passage aufscheinenden, illiberalen Kern des rechtsidentitären Denkens herauszuschälen.

Im Kontext lautet die Passage wie folgt: „Ich bin sicher, dass – egal wie schlimm die Verhältnisse sich auch entwickeln mögen – am Ende noch genug Angehörige unseres Volkes vorhanden sein werden, mit denen wir ein neues Kapitel unserer Geschichte aufschlagen können. Auch wenn wir leider ein paar Volksteile verlieren werden, die zu schwach oder nicht willens sind, sich der fortschreitenden Afrikanisierung, Orientalisierung und Islamisierung zu widersetzen.“1

Was Höcke hier macht, ist folgendes: Er definiert ein Einstellungsspektrum, das es dem ‚echten Volk‘ erlaubt, auch nicht zu ihm gehörige „Volksteile“ zu identifizieren. In diesem Fall bestimmte kulturell definierte Migrantengruppen sowie den ethnischen Selbsthass kultivierende Linksextremisten. Was passiert, wenn Menschen aus diesem Einstellungsspektrum herausfallen, ist dann eben die Konsequenz die Höcke zieht: der „Volksteil“ geht verloren, das dürfte heißen: Er muss ausgestoßen werden.

„Höcke und Co. setzen nicht nur Ausländer unter Anpassungsdruck, sondern auch Inländer.“

Wie das funktionieren soll, ohne in eben jenen Bürgerkrieg zu münden, der in rechtsidentitären Milieus bisweilen als eine Folge der sozialen Spannungen durch die Massenmigration an die Wand gemalt wird, bleibt natürlich offen. Und wohin sollen die ausgestoßenen Volksteile denn auch gehen? „Remigrieren“ können sie ja schlecht, denn sie sind ja (im Wesentlichen) hier geboren und aufgewachsen. Warum fragten hier die Moderatoren nicht nach? Denn wenn etwas darauf hinausläuft, dass auch Staatsbürger mit deutschem Pass abgeschoben werden sollen, dann ist es doch das. Da wäre es doch eigentlich gar nicht mehr nötig, dass die Faktenchecker des Correctiv-Verbundes stark zuspitzende Meinungsäußerungen bezüglich des „Geheimtreffens“ in Potsdam – sowie falsche Behauptungen über ihre eigene Berichterstattung – in die Welt setzen.

Höcke und Co. setzen nicht nur Ausländer unter Anpassungsdruck – was man in Bezug auf klar definierbare Kriterien bei der Einhaltung der (Straf-)Gesetze sowie der grundsätzlichen Bereitschaft, sich das Leben durch eigener Hände Arbeit zu verdienen, für gerechtfertigt halten muss –, sondern eben auch Inländer. Wer sich qua falscher Einstellung oder Haltung dem homogenen Volkskörper entzieht, der gehört nicht dazu. Damit folgen sie der Lehre des in rechtsidentitären Kreisen gerne zitierten Diktums des NS-Juristen Carl Schmitt: „Zur Demokratie gehört also notwendig erstens Homogenität und zweitens – nötigenfalls – die Ausscheidung oder Vernichtung des Heterogenen.“2 Höcke und Co. wollen nicht weniger als die seit der Aufklärung geschichtlich gewachsene Verbindung von Liberalität und Volkssouveränität auflösen und durch die Herrschaft eines möglichst homogenen Volkes ersetzen. Zugespitzt: Massenmigration wird durch Volksmasse ersetzt.

Dass hier der Kontrahent nicht nachbohrt, kann man der bisweilen entstehenden Unübersichtlichkeit in einem fortgeschrittenen, hitzigen Dialog zuschreiben. Aber die Moderatoren? Harte, billige Anwürfe gegenüber dem AfD-Kandidaten bei gleichzeitigem Übersehen des Wesentlichen. Es musste – in Gestalt der üblichen Kampfbegriffe – stets ersichtlich bleiben, dass man Höckes Positionen ablehnt, noch bevor er sich äußern konnte, und man sich damit doch irgendwie ‚richtig‘ positioniert, damit keiner der Journalisten-Kollegen auf die Idee kommt, dass man hier irgendwem ‚zu viel Raum‘ gegeben habe oder nicht ein Mindestmaß an ‚Haltung‘ gezeigt hätte. Auch die eher konservative Welt, die zum Springer-Konzern gehört, kann sich dieser Homogenisierungstendenz in den Mainstream-Medien, die spiegelbildlich zu den Homogenisierungsphantasien der Rechtsidentitären fortschreitet, nicht gänzlich entziehen. Und angesichts der moralistischen Besoffenheit verpasste man dann ausgerechnet jene entscheidenden Momente, in denen man Höcke kühl und nüchtern zu einer Offenlegung seines illiberalen Weltbildes hätte zwingen können.

„Was Sellner formuliert, ist die gute alte Volksgemeinschaft im Gewand eines Silicon-Valley-Mindsets, gleichsam patriotische Heimatliebe als Vision von Google.“

Was Höcke in seinem Buch zum Ausdruck gebracht hat, ist nicht bloß seine private Vision, es ist vielmehr der Glutkern des rechtsidentitären Denkens. In seiner bislang ausgereiftesten Gestalt zeigt es sich in Martin Sellners Buch „Remigration. Ein Vorschlag“. Dort fordert Sellner, Kopf der österreichischen Identitären Bewegung, eine Art Social-Scoring-System für Ausländer – und damit implizit aber auch für Inländer, denn es wird ja zugleich eine Messlatte für die Anpassung an echte Deutsche bzw. Österreicher definiert.

Ziel eines solchen „Assimiliationsmonitors“ ist es, potentiell abzuschiebende Migrantengruppen identifizieren zu können. „Alle verfügbaren sozialen und wirtschaftlichen Daten ebenso wie das Wahlverhalten“, so Sellner, „fließen in die Analysen ein. Über intensive Umfragetätigkeit und andere demoskopische Instrumente (etwa Analyse von verfügbaren Daten in sozialen Netzwerken) werden persönliche Identifikation, Alltagssprache, Freundeskreis etc. in unterschiedlichen Gruppen erforscht. Sprachkenntnis und Sprachgebrauch, Herkunft des Freundeskreises, kulturelle und religiöse Überzeugungen sind ebenso zu werten wie die Wahrnehmung des Assimilationsgrades durch die Mehrheitsgesellschaft. Über diese Faktoren wird der Integrations- und Assimilationsstatus unterschiedlicher Herkunftsgruppen so genau wie möglich ermittelt und in Zahlenwerten ausgedrückt.“3

Was Sellner hier formuliert, ist die gute alte Volksgemeinschaft im Gewand eines Silicon-Valley-Mindsets, gleichsam patriotische Heimatliebe als Vision von Google. Auf genau demselben gedanklichen Kern fußt Höckes Rede von dem Verlust einiger „Volksteile“ ebenso wie Maximilian Krahs Vision, dass ein Staat auf kollektiv geteilten Vorstellungen des guten Lebens, die sich aus einer „natürlichen Ordnung“4 und einer „Verwurzelung des Menschen“5 in dieser Ordnung ableitet, aufruhen sollte. Dass Liberale „letztlich nur den Einzelnen und die Menschheit anerkennen“6, wie der AfD-Spitzenkandidat zur EU-Wahl meint, ist falsch. Aber jede Gemeinschaft, die sich zwischen Ich und Menschheit entfaltet, soll eine selbstgewählte, keine von außen aufgenötigte sein.

„Wir müssen in Freiheit gedeihende Gemeinschaften vor der Idee der (digitalen) Volksgemeinschaft retten.“

Die rechtsidentitäre Lehre ist damit nicht nur eine Gefährdung für eine liberale und plurale Gesellschaft – die voraussetzt, dass der Staat gegenüber Migranten offensiv genau diese Werte von Liberalität und Pluralität als Leitkultur in unserem Land einfordert und die Grenzen vor unerwünschter Zuwanderung schützt –, sondern sie ist auch zuvörderst eine Gefährdung für eben jene Gemeinschaften, die in einem liberal und plural organisierten Gemeinwesen gedeihen können. Denn ein Volk, dem permanent in einer Art digitalem Zwilling das rückgespiegelt wird, was es essentiell ausmachen soll, verliert eben seinen gemeinschaftlichen Charakter und wird starr und hart, verliert seine unbefangene Lebendigkeit. Damit gilt also aus einer liberalen Perspektive: Wir müssen in Freiheit gedeihende Gemeinschaften vor der Idee der (digitalen) Volksgemeinschaft retten.

Dies zum Vorschein zu bringen, hätte die Leistung der Duell-Moderatoren und des Kontrahenten Höckes sein können. Stattdessen: milieu- und berufsspezifische Denkreflexe und öde Schlagwortattacken, die bei den einschlägigen Wählersegmenten nur zwei Effekte haben werden: Den Trotz gegen das moralistische Auftrumpfen privilegierter Journalisten und die Solidarisierung mit dem Unterdrückten.

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