05.04.2016

Phantom-Rassismus im Frauenfußball

Kommentar von Christoph Lövenich

Titelbild

Foto: Marit Langschwager (maritlangschwager.de)

Wegen eines angeblichen rassistischen Vorfalls ermittelt die Uefa gegen einen Frankfurter Frauenfußball-Verein. Eingebildeter Rassismus und Abneigung gegen lautstarke Fans bedrohen die Fußballkultur

Rassismus im deutschen Frauenfußball? Vergangene Woche teilte die Uefa mit, dass sie gegen den großen Traditionsclub 1. FFC Frankfurt ermittle, da während des Champions-League-Spiels letzten Mittwoch am Main rassistische Zuschaueräußerungen gefallen seien.
Was war passiert? Im Rückspiel des Viertelfinales gegen den FC Rosengård aus dem schwedischen Malmö war eine Spielerin des – letztlich unterlegenen – Kontrahenten, die Kamerunerin Gaelle Enganamouit, wiederholt ausgepfiffen und ausgebuht wurden.

Hintergrund war ihre unfaire Spielweise, die bereits im Hinspiel eine Woche zuvor auch dem neutralen Zuschauer nicht verborgen geblieben war. In Malmö blieb diese ungesühnt, im Frankfurter Stadion am Brentanobad erhielt Enganamouit immerhin eine gelbe Karte, hätte aber nach Ansicht nicht nur von Frankfurter Seite später auch Gelb-Rot und damit einen Platzverweis verdient gehabt. Sie „benutzte mehrfach im Luftkampf den Ellbogen, wiederholt wälzten sich Frankfurter Spielerinnen am Boden“, schreibt die Frankfurter Rundschau, „Innenverteidigerin Marith Prießen zeigte hinterher eine geschwollene Lippe, Elfmeter-Heldin Anne-Kathrin Kremer auf ihr Knie: ‚Sie ist mit gestrecktem Bein da reingesprungen, man sieht noch die Stollenabdrücke.‘“

Statt dies adäquat zu ahnden, unterbrach die italienische Schiedsrichterin Carina Vitulano aus für Zuschauer unerfindlichen Gründen die Partie, um sich mit einer UEFA-Funktionärin am Spielfeldrand zu besprechen. Anschließend erfolgte eine Stadiondurchsage, die die das Publikum an Fairness erinnerte und erst nach dem Spiel wurde bekannt, dass die Unparteiische „‚Affenlaute-Rufe oder so etwas‘“ gehört haben will, die sich an die kamerunische Spielerin gerichtet haben sollen. Dass eine Schiedsrichterin weniger sieht als andere – in diesem Fall Fouls –, kommt im Fußball häufig vor, dass sie aber mehr hört als der Rest, mag verwundern. Denn sonst hatte niemand rassistisches Gegrunze oder ähnliches wahrgenommen, auch nicht die Spielerinnen auf dem Platz.

„Es wird schnell mal dort zur Rassismus-Keule gegriffen, wo sie nicht hingehört, und wo sie den Kampf gegen echten Rassismus entwertet“

Dennoch schaukelten sich im Nachklapp bei einigen die Emotionen hoch. Schwedens Nationaltrainerin Pia Sundhage zeigte sich schockiert, der Malmöer Trainer, der sich schon während der Pressekonferenz nach dem Spiel – bevor von Rassismus die Rede war – als schlechter Verlierer erwiesen hatte, bezeichnete den angeblichen Vorfall als „fucking sad“. Derartige Reflexe sind dem Anlass unangemessen, aber in Zeiten der politischen Korrektheit wird schnell mal dort zur Rassismus-Keule gegriffen, wo sie nicht hingehört, und wo sie den Kampf gegen echten Rassismus entwertet. Solcher kommt im Männerfußball gelegentlich vor, wenngleich nicht so stark, wie es die breiten Kampagnen dagegen vermuten lassen. „Die Antirassismuspolitik, die den europäischen Fußball quält,“ sieht der britische Autor Adrian Hart „als Anzeichen für übertriebene Nulltoleranz“, die den Kontext ausblende, das Problem aufblähe und bestimmte Bevölkerungskreise mit arroganter Moralisierung belästige.

Im Frauenfußball muss man Rassismus wirklich herbeiphantasieren, wie im vorliegenden Fall geschehen. So wurde ins Feld geführt, dass auch Ex-Weltfußballerin Marta, die ebenfalls für den FC Rosengård spielt, Pfiffe erfahren musste. Das hat allerdings nichts mit der Hautfarbe der Brasilianerin zu tun, die der mancher Mitteleuropäerin nach dem Sonnenbankbesuch ähnelt, sondern mit ihrer vom deutschen Publikum traditionell nicht honorierten, gelegentlichen Divenhaftigkeit auf dem Platz: bei Fouls, beim Hinfallen, beim Meckern. Ihre schwarze Mannschaftskameradin Anita Asante brachte Unmutsäußerungen der Zuschauer gegen die Teamkolleginnen während der Partie denn auch nicht mit Rassismus in Verbindung und erfuhr selbst keinerlei Negativreaktionen.

Emotionen, auch mal ein aufgebrachtes Publikum, gehören zum Spiel. Sie sind nicht als unsportlich zu betrachten und stacheln die betroffenen Spielerinnen eher noch zusätzlich an. Dass Buhrufe, Pfiffe und überhaupt lautstarkes Mitgehen auf den Zuschauerrängen (im Männerfußball noch viel stärker ausgeprägt) mit solchem Argwohn bedacht werden, lässt tief blicken. In Großbritannien kann man schon für hämische Fangesänge strafrechtlich belangt werden, in Belgien werden deshalb Spiele unterbrochen. Die Leidenschaft der Massen scheint einigen in der Politik und den Mainstreammedien nicht zu behagen, man will das angeblich unkultivierte Verhalten vermeintlicher Fußball-Prolls mit Nachdruck einhegen.

„Emotionen, auch mal ein aufgebrachtes Publikum, gehören zum Spiel“

So droht jetzt den Fans des FFC Frankfurt, bei dem früher die künftige Bundestrainerin Steffi Jones spielte, seitens der Uefa eine Teilaussperrung aus dem nächsten Spiel, weil eine imaginäre Mücke zum rassistischen Elefanten mutierte. Ähnliche Sanktionen hatte 2014 Ralf Kellermann zu befürchten, zwischenzeitlich zum FIFA-Welttrainer im Frauenfußball gekürt. Dem Chefcoach der Frauen vom VfL Wolfsburg wurde damals von einer schwarzafrikanischen Spielerin des Konkurrenten Turbine Potsdam vorgeworfen, sie nach einer roten Karte rassistisch beleidigt zu haben. Für heftiges Foulspiel hatte Genoveva Añonma aus Äquitorial-Guinea einen Platzverweis erhalten und ihren Frust beim Gang in die Kabine bereits durch eine obszöne Geste und das Treten eines herumliegenden Plastikhütchens kundgetan. Von einer rassistischen Äußerung hatte allerdings außer ihr niemand gehört, offenbar auch nicht die Linienrichterin in der Nähe. So erhielt zurecht nur die betreffende Spielerin Sanktionen und Kellermann wurde vom DFB-Kontrollausschuss nicht weiter behelligt.

Solche unhaltbaren Vorwürfe vergiften allerdings das Klima. Imaginärer Rassismus und Zuschauerdisziplinierung sollten möglichst nicht weiter um sich greifen. Stattdessen könnten Uefa wie DFB mal die hundertprozentige Frauenquote im Schiedsrichterwesen – in Frauen-Bundesliga wie Champions-League, wie es sie im Männerfußball umgekehrt nicht gibt – unter die Lupe nehmen. Klagen über mangelnde SchiRi-Qualität sind Legion, und vielleicht könnten die betreffenden Damen an männlicher Konkurrenz ein wenig wachsen. Auch Schiedsrichterin Vitulano, die den aktuellen Fall in Frankfurt losgetreten hatte, war von Fans während des Spiels wegen ihrer Leistungen hörbar attackiert worden und der Rassismus-Vorwurf somit vielleicht nur eine Retourkutsche gegen das kritische Publikum. Der Kontroll-, Ethik- und Disziplinarausschuss der Uefa spricht heute sein Urteil.

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